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Giuseppe Tartini

Konzert in E Dur

ed. Enrica Bojan
Incipit
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Dieses Konzert in E Dur D.48 wurde zwischen 1724 und 1735(1) komponiert und zeigt einen soliden, formalen Aufbau und rhythmische Energie, besonders im 1.und 3. Satz, der eine lange cadenza a capriccio(2) aufweist.

Für diese kritische Ausgabe wurden 4 Hauptquellen verglichen: das autographe Manuskript DVII 1902 n.45(3), das sich in Padua in den Musikarchieven der Basilica Antoniana befindet; die Handschrift der Konservatoriumsbibliothek in Paris, Grand Fond, ms11228/14 (beide Quellen werden von Dounias in seinem Katalog zu Tartinis Opus angeführt(4)); das Manuskript von Berkeley, in der Musikbibliothek der Universität von Kalifornien, It.879(5); die Stimme für Sologeige von der Stadtbibliothek in Udine (diese beiden Quellen werden von Dounias nicht zitiert, jedoch von Nesbeda in seinem letzten Katalog(6)).

Die autographe Handschrift besteht aus einem Deckblatt und 8 Quart-Blättern mit 14 Notenlinien. Das Deckblatt trägt die Aufschrift 'Concerti Tartini / Partitura n.91'. Diese Nummer wurde später zu 45 geändert und auch weiter oben auf der Seite gedruckt.

Das Manuskript ist schwierig zu interpretieren, da es sehr dicht beschrieben ist; jedoch ist die Handschrift klar und sauber. Es gibt bedeutende Korrekturen und mehrere Kürzungen. In einigen Passagen werden chromatische Vorzeichen nicht genau angegeben, als wären sie in Eile geschrieben. Im ersten Satz, Takt 76-79 des Basso, gibt es eine sichtbare Kürzung(S.2 des Manuskripts). Offenbar bevorzugte Tartini Stille und danach eine Reihe langer Noten di bordone; das Violoncello imitiert nicht wie die anderen Stimmen Rhythmus und Meoldie. Eine andere Kürzung gibt es in der Viola-Stimme, Takt 121-122 im ersten Satz(S.4). Die gestrichenen Takte wurden durch zwei, auf eine leere Notenlinie geschriebenen, ersetzt. Eine weitere Intervention in allen Stimmen, Takt 106 im 3.Satz (S.6), ist konsequenter. Ein ganzer Teil von 12 Takten, mit 'Soli' bezeichnet, ist völlig gestrichen. Diese melodische Phrasierung, harmonisch komplett, wurde nicht ersetzt.

Das Pariser Manuskript besteht aus einem Titelblatt und 11 Blättern(5 Seiten),numeriert von 115-125; sie gehören zu einem Band mit anderen Konzerten. Das Titelblatt trägt die Aufschrift 'Tartini/49 Violin Concertos(Vol:C)'und die Nummern der Bibliothek. Das erste Blatt mit Notenlinien weist eine interessante Anmerkung auf: 'Concerto del Sig.r Giuseppe Tartini.Con viola e violoncello obligati.Originale'. Die Notenschrift, sehr klar und genau, zeigt die Stimmen und Ausführung der Virtuoso-Passagen ganz präzise. Die Quelle wurde herangezogen, um die autographe Handschrift zu verstehen und fehlende Stimmen in einigen Fällen einzufügen. Die saubere Schrift und das Wort 'originale' deuten darauf hin, dass diese Kopie von einem Tartini bekannten Kopisten stammt, vielleicht sogar unter seiner direkten Anweisung entstand.

Die Berkeley Handschrift besteht aus einzelnen Stimmen auf Quartseiten (18 Blätter, numeriert von 1-14) mit je 10 Notenlinien. Die losen Stimmen sind jeweils violino principale, violino primo obligato, violino secondo obligato, alto viola obligata, violoncello obligato.

Das erste Blatt mit Musik wird als Deckblatt verwendet, mit der Aufschrift 'Violino principale/concerto/del Sig:r Giuseppe Tartini', ohne weitere Anmerkungen. Die Schrift ist wiederum klar und sauber ohne Korrekturen oder Streichungen. Die Bezeichnungen "Tutti, Solo und Soli" sind die gleichen wie in der Pariser Handschrift und präziser als in der originalen. Wie im Pariser Manuskript sind die Abweichungen von Tartinis Original minimal. Das Bekeley Manuskript ist dem französischen sehr ähnlich und wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt geschrieben; das Setzen von Vorzeichen ist ähnlicher dem modernen Gebrauch als der Praxis des 18.Jhs.

Die Stimme für Sologeige aus der Bibliothek von Udine besteht aus einem Titelblatt mit Notenlinien und der Aufschrift 'Concerto/del Sig.r Giuseppe Tartini/Violino principale', sowie aus 4 Blättern über 2 Seiten. Es ist unklar, ob diese Stimme für Sologeige die einzig erhaltene einer Reihe verlorener Konzerte Tartinis ist, die mit anderen Stimmen lose in einem Band aufgehoben war, wie im 18. Jh. üblich.

In der autographen Handschrift von Tartini gibt es am Anfang des 1.und 2.Satzes zwei lange "motti cifrati", die von Dounias in seinem Katalog(7) mit den Versen übersetzt werden 'Volgetemi amoroso un guardo più pietoso, o luci belle, sì, ma troppo fiere' and 'Rondinella vaga e bella che dal mar faccia tragitto lascia il nido e all'aere infido fida il volo e la speranza'(8). Diese poetischen Verse, metrisch komplett, spiegeln die gesprochenen und gesungenen Worte des Melodramas wider und enthalten zeitgenössische Anspielungen auf 'Arcadia'. Ihr Ursprung konnte nicht eruiert werden. Allerdings gibt es Anzeichen einer Verbindung zwischen Tartinis und Vivaldis Werken aus derselben Periode.(9)Es sollte daher nicht überraschen, eine verschleierte Anspielung auf eine Passage des venezianischen Komponisten zu finden; wahrscheinlich Teil eines oft aufgeführten 'pasticcio'.(10)

Dem letzten Forschungsstand zufolge ist ein "motto" weder ein literarisches noch ein melodramatisches Zitat, sondern einfach die silbenweise Anlehnung an die Melodie der Sologeige.Diese Theorie ist derzeit jedoch nicht sehr weit verbreitet.Wenn sie stimmt, müsste untersucht werden, warum Tartini so einen kryptischen Weg wählte, um seine Stücke zu bezeichnen. Wahrscheinlich hatten diese 'motti' einen ganz privaten Bezug, da sie nur im autographen Manuskript und nicht in den späteren Quellen erscheinen, nicht einmal in der Pariser Handschrift, die als 'Original' bezeichnet wird.

Das Studium von Tartinis Partitur wirft Probleme bezüglich des Orchesters auf, dessen Zusammensetzung vom Komponisten gewöhnlich nicht angegeben wird.(11) Normalerweise wurden Tartinis Konzerte in der Basilica del Santo zu Padua bei feierlichen Anlässen aufgeführt.(12) Wahrscheinlich übernahm Tartini meistens das Solo (seit 1721 war er „erster Geiger und Konzertmeister" in Padua). Dokumentarische Überlieferungen sowie sein Traité des agrémens bezeugen, daß ihm ein hervorragendes Orchester zur Verfügung stand, gewohnt, bei derartigen Aufführungen zu glänzen. Dadurch waren detaillierte musikalische Anmerkungen in der Partitur nicht nötig.(14) Allein auf der Basis der Originalpartitur können wir jene Passagen, die von Tartini mit 'Tutti' im 1.und 3.Satz bezeichnet werden, folgendermaßen zuordnen: die erste Notenlinie für die Sologeige und die ersten Geigen gemeinsam, die zweite für die 2.Geige 'obbligato'(oder eine Gruppe zweiter Violinen), und die letzte, im Baßschlüssel, für das Violoncelllo als basso continuo (obbligato zufolge der Berkeley und Pariser Quellen). In den mit Solo und Soli bezeichneten Passagen finden wir zusätzlich zur Sologeige erste und zweite Geigen auf derselben Notenlinie im Violinschlüssel, manchmal kontrastierend und dann wieder im Einklang; Viola und Violoncello begleiten harmonisch(15).

Im Gegensatz dazu stehen drei Teile des 2.Satzes im Violinschlüssel (für Sologeige, erste und zweite Violinen) und eine im Baßschlüssel. Die Viola setzt aus.

Im autographen Manuskript gibt es keine Stimme für ein Tasteninstrument als basso continuo; es gibt keine Bezifferung, und die untersten Noten werden nur durch den Baßschlüssel am Anfang jeder Notenlinie angegeben. Die Forschung schliesst den Gebrauch des Klavichords aus; einige Elemente außerhalb der Originalpartitur sowie Dokumente nicht rein musikalischer Natur scheinen aber den Gebrauch der Orgel zu bekräftigen; die Konzerte wurden ja für die Basilica del Santo geschrieben und in ihr aufgeführt, und in diesem religiösen Umfeld war die Orgel souverän.(16) Die heutige Forschung ist einig, dass der basso continuo die Passagen begleitet, die mit 'Tutti' angegeben sind und bei den mit 'Soli' bezeichneten ausfällt.(17) In diesem Konzert allerdings hat der Basso, der in der Berkeley und Pariser Quelle dem Violoncello obbligato zugeordnet ist, eine ausdrückliche Rolle auch in den mit Soli bezeichneten Stellen. Der basso continuo wird in dieser kritischen Ausgabe nicht ausgeschrieben, sondern nur komplimentär zur Stimme des Violoncello angedeutet; die Ausführung bleibt der Diskretion des Spielers überlassen.(18)

In der autographen Handschrift gibt es keine Tempobezeichnungen. In allen anderen Quellen stehen sie am Anfang jeder Passage. Hier wurden die Bezeichnungen Allegro, Largo, Allegro wieder eingeführt. Wir folgen getreu dem Originalmanuskript; alle Einfügungen wurden auf die Modernisierung des graphischen Image beschränkt. Es wurden keine dynamischen Vorzeichen hinzugefügt, da sie für den sorgfältigen Spieler evident sein sollten. Der Gebrauch eines 'b'zur Neutralisierung eines # wurde durch ein Auflösungszeichen ersetzt, um dem modernen Gebrauch gerecht zu werden; ein # vor einer bereits erhöhten Note wurde ein modernes Doppelkreuz. Fehlende Vorzeichen im Original wurden in [], und Vorsichts-Vorzeichen in () Klammern gesetzt.

Die Bindungen und Phrasierungsbögen wurden beibehalten, einige gestrichelte Bögen wurden vom Herausgeber hinzugefügt. Verzierungen stammen vom Original und haben keine Anregungen zur Ausführung. Die Regeln des 18.Jh. für Routineausführungen der Verzierungen und Kadenzen bei Tartini sind noch immer nicht geklärt, obwohl der grosse Geiger die "Kunst des Bogens" für seine eigenen Schüler geschrieben hatte.(19) Diese Ausgabe soll einen kritischen Text darstellen, der musikalisch und historisch dem Original verpflichtet ist und daher so weit wie möglich originalgetreue Aufführungen erlaubt.

1 Nach Dounias gehört das Konzert D.48 in Tartinis erste Schaffensperiode, siehe M.DOUNIAS, Die Violinkonzerte Giuseppe Tartinis, Zürich, Möseler Verlag,1935 (Neuauflage Wolfenbüttel,1966),S 265-266.Tartinis Werke sind darin nach Tonalität und nicht chronologisch geordnet. Pierluigi Petrobelli zufolge endet Tartinis erste Periode zu Beginn der 1740er Jahre.

2 Capri beschreibt es als 'erstes in der zweiten Sammlung,n.25'(siehe A.CAPRI, Giuseppe Tartini, Milan,Garzanti,1945, S 251-252).In seinem 'Katalog' bringt Dounias den ersten Satz dieses Konzerts in Verbindung mit D.99 in A Dur. Ihm zufolge entsprechen die Themen der beiden Konzerte einander.

3 Zugang zum autographen Manuskript war dank der freundlichen Hilfe des Direktors der Bibliotheca del Santo, Padre Giovanni Luisetto, möglich.

4 Siehe M.DOUNIAS, Die Violinkonzerte Giuseppe Tartinis,a.a.O.,S 265-266.

5 Der Music Library of the University of California, Berkeley, sei für die Erlaubnis, Teile dieser Quelle zu veröffentlichen, gedankt.

6 F.NESBEDA,Catalogo delle composizioni, in VERSCHIEDENE AUTOREN, Giuseppe Tartini nel terzo centenario della nascita, hgg.von M.Sofianapulo, Trieste,Tegeste Verlag,1992,S 111-112.

7 Siehe M.DOUNIAS, Die Violinkonzerte Giuseppe Tartinis,a.a.O.,S 265-266.

8 'Sieh mich mit liebenderem Blicke an, oh schönes, jedoch stolzes Auge' und 'Die kleine, schöne Schwalbe, die über dem Meere fliegt, verlässt ihr Nest und legt ihr Vertrauen, ihre Hoffnung und ihren Flug in die Hände des trügerischen Himmels'. In seinem Band Die Violinkonzerte Giuseppe Tartinis,a.a.O. S 94-95, entziffert Dounias Tartinis persönliches Alphabet, und weist auf Ähnlichkeiten vieler Texte mit Versen von Metastasio hin. Das 'Motto',das den Anfang jedes Satzes begleitet, kann nicht als typisch für Tartini angesehen werden, da es sehr selten gebraucht wird. Auch impliziert die Verwendung eines kryptischen Alphabets, dass der Autor keine sekulären Elemente in seine für die Kirche bestimmten Werke einführen wollte. Weitere Literatur zu diesem noch ungelösten Problem siehe VERSCHIEDENE AUTOREN, Motti tartiniani: nuove concordanze, nuovi problemi, und ebda.,Tartini. Il tempo e le opere, A.Bombi& N.M.Massaro Eds., Bologna,il Mulino,1994, S 389-394.

9 Siehe E.Bojan, Introduzione bei TARTINI, Concerto in G Dur D.82, Launton, Edition HH, S viii., und mit weiteren Referenzen für alle Dichter und Librettisten der Texte von Vivaldi.

10 Siehe A.BELLINA, B.BRIZI, M.G.PENSA, I libretti vivaldiani. Recensione e collazione dei testimoni a stampa,Florenz, Olschki,1982.

11 Für einen Überblick über den derzeitigen Forschungsstand von Tartinis Werken siehe F.NESBEDA, Catalogo....,a.a.O.,S 104-144.Immer nützlich ist P.Petrobelli, Giuseppe Tartini. Le fonti biografiche, Wien,London,Milano, Universal Edition,1968.
12 Siehe P.PETROBELLI, Tartini, le sue idee e il suo tempo, Lucca, LIM,1992, S 115-116; M.CANALE DEGRASSI, Destinazione e aspetti esecutivi dei concerti per vionlino die G.Tartini: contributi per un approfondimento in VERSCHIEDENE AUTOREN, Intorno a Locatelli, hg. A.Dunning, Lucca, LIM, 1995, S 152-163.
13 Dazu siehe auch E.FARINA, Pubblicare oggi le opere di Tartini, in Tartini. Il tempo e le opere,a.a.O.,S 401-408.
14 Dazu siehe P.PETROBELLI, Per l'edizione critica di un concerto tartiniano, in Tartini, le sue idee e il suo tempo,a.a.O., S 109-136; M.CANALE DEGRASSI,ebda.,S 151-173. Das Orchester wurde an Hand von anderen Konzerten und Dokumenten rekonstruiert.

15 Dazu siehe P.PETROBELLI, ebda., S 111-136.

16 Ebda., S 134-135. Für dieses Problem gibt es noch keine definitive Antwort.

17 E.FARINA, ebda., S 404-405.

18 Die Forschung scheint einig, Tartini habe den linearen Klang des Solo-Cellos der harmonischen Dichte eines Tastaturinstruments vorgezogen. Siehe E.FARINA, ebda., S 408.

19 Traite des agremens wurde von Tartini nie veröffentlicht und erst 1771 in Paris von P.Denis übersetzt und mit demselben Titel gedruckt. Das wahrscheinliche, italienische Original trägt den Titel Regole per ben suonare il violino. Dazu siehe VERSCHIEDENE AUTOREN, fonti tartiniane: alcune annotazione, und L. GRASSO CAPRIOLI, Lessico tecnico e strutture linguistiche di Tartini didatta nelle 'Regole per be suonare il violino', in VERSCHIEDENE AUTOREN, Tartini. Il tempo...,a.a.O., S 395-400 und S 281-298. Die letztgenannte Studie zitiert die wichtigsten Schriften dieser Zeit zu Verzierungen (von J.J.Quantz, C.Ph.E.Bach, L.Mozart) und unterstreicht die Eigenart von Tartinis System. Dazu sei bemerkt, dass der Triller (und der kurze Triller, heute Mordent oder Prallerzeichen)im Gebrauch des 18.Jhs. normalerweise von der oberen Note beginnen würde, und dass die Vorschlagsnote genauso gespielt wurde wie heute.
Padua Januar 2000
Enrica Bojan
Übersetzung Burgi Hartmann